Ein frommer Wunsch! Wie komme ich denn zur richtigen Selbstfürsorge, wenn gerade alles andere wichtiger zu sein scheint?
Die Arbeit wartet im Home-Office, die Kinder sollen Hausaufgaben machen, der berufstätige Partner steht auch vor ganz neuen Herausforderungen. Nicht zu vergessen das tägliche, mehr oder minder erzwungene, enge „Beieinandersein“, der Einkauf und nicht zuletzt der Haushalt, der, wenn alle zuhause sind, eher mehr Zeit erfordert als sonst. Noch dazu werden wir momentan von allen Seiten aufgefordert, gut für uns zu sorgen, unser Immunsystem zu stärken. Das ist im Moment jedoch leichter gesagt als getan. Gerade in Krisenzeiten fällt es uns oft sogar schon schwer, unsere dringlichsten Aufgaben konzentriert zu erledigen.
Manchmal stehen wir diesen neuen Herausforderungen geradezu hilflos gegenüber und wissen eigentlich gar nicht so recht, wie jetzt auch noch gute Selbstfürsorge gehen soll. Wir sind eher darauf trainiert, die andern gut versorgen und ihre Erwartungen zu erfüllen. Wir richten uns automatisch nach ihren Bedürfnissen, oft ohne unsere eigenen überhaupt zu spüren.
Dazu plagen uns diffuse Schuldgefühle. „Darf ich das eigentlich oder bin ich dann ein Egomonster?“ „ Geht’s mir nicht extrem gut im Verhältnis zu anderen?“ oder „Darf ich mich denn um mich kümmern, obwohl andere jetzt leiden?“ Dazu kommen noch sorgenvolle Gedanken, die sich immer wieder auf aufdrängen. „Was passiert, wenn ich durch den allgemeinen Stress jetzt auch noch krank werde, meine Familie anstecke oder mir Kurzarbeit droht?“
Diese Gedanken und Sorgen können uns zeitweise ganz schön aus der Bahn werfen. Durch immer neue Medienberichte werden sie oft noch verstärkt. Sie triggern uns an und holen uralte Ängste in uns hoch, die wir in unserem genetischen Gedächtnis abgespeichert haben. Meist sind es Erfahrungen aus der Vergangenheit, die wir verinnerlicht haben. Doch schon das alte Bibelzitat „Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst!“ ist eigentlich anders zu verstehen „Liebe dich selbst, dann kannst du auch deine Nächsten lieben.“
Und in der Tat, wenn es uns gut geht, wenn wir zufrieden sind und körperlich fit, können wir auch die anderen gut versorgen. Zuerst sich selbst versorgen! Für jeden Ersthelfer im Einsatz ist das oberstes Gebot. Doch wie soll das gehen? Gerade jetzt, wo wir alle daheim sitzen und die normale Struktur und Routine wegfällt?
Im Hier und Jetzt zu bleiben und wirklich zu schauen, was im Moment Priorität für uns hat, hilft. Ein zweiter entlastender Schritt ist, sich von den ständig neuen Nachrichten auf allen Kanälen zu trennen. Diese mediale Überschwemmung auf einen kurzen Zeitraum pro Tag zu beschränken, unterstützt uns, in unserer Mitte zu bleiben.
Nicht alle Gespräche bauen uns auf. Wenn Freunde uns mit ihren panischen Befürchtungen überfluten, kann uns das durchaus aus unserem Gleichgewicht bringen und uns daran hindern, in Ruhe unserem Tagesgeschäft nachzugehen.
Da gilt es gute Grenzen zu setzen. Welche Kontakte nähren mich und geben mir Kraft und welche ziehen mich eher runter?
Natürlich wissen wir, dass es unserem Körper besser geht, wenn er gut versorgt wird. Genügend Schlaf, viel Obst und Gemüse und unser Sportprogramm geben uns Kraft. Doch gelingt uns das, wenn Kinder und PartnerIn ständig etwas von uns brauchen, wir Emails verschicken müssen und unser Chef dreimal am Tag anruft? In solchen Situationen kann es uns ziemlich schwer fallen, das alles umzusetzen.
Zu allem Überfluss macht uns unser schlechtes Gewissen zu schaffen, dass wir nicht alles perfekt hinkriegen. In diesen Momenten gilt es, gnädig mit sich umzugehen. Nicht umsonst kursieren zur Zeit Bilder von gefesselten Familienmitgliedern im Internet, um endlich die Arbeit am Computer erledigen zu können.
Und in der Tat, Humor hilft! Wir müssen uns Zeit geben, uns auf die neuen Umstände einzustellen, ohne gleich alles perfekt im Griff haben zu wollen. Fehler und Konflikte sind inbegriffen, wenn wir Neuland betreten. Deshalb wichtig: Sich selbst Anerkennung geben. Dazu gehört abends zu reflektieren, was wir im Laufe des Tages alles geschafft haben.
Um jetzt in dieser Situation produktiv zu bleiben, hier einige Punkte, die uns das Arbeiten im Home-Office erleichtern: Sich jetzt sich einen guten Arbeitsplatz einzurichten und zwar nicht nur die letzte Ecke, sondern wirklich einen Arbeitsplatz, der auch ergonomisch für uns passt, ist wichtig für unser Wohlbefinden und unsere Produktivität. Wir haben schon genügend Druck, deshalb sollten wir uns nicht mehr als nötig vor dem Computer verspannen. Die richtige Tischhöhe und der richtige Monitorabstand fördern unsere Leistungsfähigkeit. Auch unser Unterbewusstsein kann uns besser unterstützen, wenn wir uns einen festen Arbeitsplatz einrichten. Es stellt uns, sobald wir regelmäßig dort Platz nehmen, auf Arbeitsmodus. Unser Arbeitsplatz sollte mit den wichtigsten Utensilien ausgestattet sein, so dass unnötiges Suchen zwischendurch vermieden werden kann. Stifte, Arbeitsunterlagen, auch eine Karaffe mit Wasser, vielleicht auch ein paar bunte Blumen erleichtern uns diszipliniert unsere Aufgaben zu erledigen.
Grenzen, klare Absprachen mit der Familie helfen uns zudem unseren Alltag neu zu strukturieren. Das gibt uns Sicherheit und auch unsere Kinder können mit festen Regeln viel besser umgehen. Um sie durchzusetzen ist natürlich wiederum unsere Konsequenz gefragt. Doch auch Störungen können Vorrang haben, doch wenn wir Zeiten festlegen, in denen wir wirklich ungestört arbeiten wollen, wird es allmählich für alle zur festen Gewohnheit. Kopfhörer können uns die nötige Ruhe geben und vermitteln auch nach außen, dass wir jetzt nicht zu sprechen sind.
Um unsere To-do-Liste effektiv abzuarbeiten, ist es hilfreich, unseren Tag gut zu strukturieren. Genauso sinnvoll ist es, regelmäßige Pausen einzuplanen. Bewusste Pausen, die uns helfen, uns wieder zu regenerieren und uns danach wieder an die Arbeit zu machen.
Grundsätzlich hilft uns eine klare Trennung zwischen Arbeit und Freizeit. Wir können unser gewünschtes Ziel auch dann erreichen, wenn wir zu einer bestimmten Uhrzeit aufhören, den Laptop konsequent schließen, den Arbeitsplatz aufräumen. Den Feierabend möglichst mit einem täglichen Ritual einzuläuten, wie das gemeinsame Kochen, Spielen oder einige Momente der Ruhe für uns, signalisiert auch unserem inneren Prozessor: Jetzt ist es Zeit runterzufahren und zu entspannen. Unser Gehirn liebt Gewohnheiten. Je mehr nützliche Gewohnheiten wir jetzt etablieren, umso leichter können wir sie auch später in unseren Alltag integrieren.
Es gibt jedoch auch Zeiten, da fällt es uns grundsätzlich schwer, sich überhaupt hinzusetzen. Jede Ablenkung scheint uns willkommen. Dann hilft es in kleinen Schritten zu beginnen. Wir müssen nicht gleich das große Projekt, den dreiteiligen selbst gestalteten Online- Kurs in Angriff nehmen. Es reicht auch, wenn wir uns erst einmal informieren, uns erste Schritte überlegen, das Ganze etwas strukturieren. Dabei kann auch unser Gehirn warmlaufen und ist für größere Aufgaben gewappnet. Der Abschluss sollte immer etwas sein, was uns Spaß macht, bei dem wir schon Ergebnisse sehen und uns über unseren Fortschritt freuen können. Auf diese Weise verbindet unser Unterbewusstsein unser Tun mit etwas Angenehmen, Freudvollen. Das hilft uns motiviert zu bleiben und weiterzumachen. Jedes Computerspiel nutzt diese Mechanismen.
Was wir meist vergessen ist, uns schon im Vorfeld zu überlegen, womit wir uns heute belohnen, wenn wir bis zu unserem Ziel durchgehalten haben. Uns eine kleine Belohnung zu gönnen, z.B. eine Tasse Kaffee in der Sonne, einen Anruf bei einer Freundin oder einfach nur Musik, zu der ich mich gerne bewege, stärkt unser Gefühl von Selbstwirksamkeit. Die Belohnung regt im Gehirn den Dopamin-Stoffwechsel an, stärkt unsere Disziplin und motiviert uns, weiter dranzubleiben. Das sind kleine Tipps, wenn wir mit unserem inneren Schweinehund ringen.
Nicht zuletzt sind wir jetzt auch wunderbare „role-models“ für unsere Kinder. Sie beobachten uns unwillkürlich bei der Arbeit und übernehmen dadurch unbewusst vieles bei der eigenen Hausaufgabengestaltung. Und vielleicht wächst, trotz unvermeidlicher Reibereien, auch unsere gegenseitige Wertschätzung, wenn wir sehen, was unser Partner, unsere Partnerin täglich so bewältigt. Vielleicht werden dadurch auch Aufgabenbereiche unter den Familienmitgliedern neu verteilt.
Auch unsere Kreativität bekommt einen neuen Schub. Da ich aufgrund der momentanen Situation nicht mehr vor Ort mit meinen Klienten arbeiten kann, erinnere ich mich plötzlich an viele Tools, die ich einmal gelernt habe und mit Erfolg praktiziert habe. Sie kommen jetzt wieder zum Einsatz in telefonischen Beratungen oder virtuellen Sitzungen und bieten ganz neue Möglichkeiten in Kontakt zu bleiben. So muß auch ich mich immer wieder aus meiner Komfortzone bewegen und auf neue Gebiete wagen. Entsprechend freue ich mich über die guten Ergebnisse, die daraus entstehen.
Ich wünsche Ihnen in dieser Zeit, trotz aller Herausforderungen, Unsicherheiten und Veränderungen, auch viele Momente der Muse, eine gute Selbstfürsorge und vor allem Zeit, sich Dingen widmen zu können, für die wir sonst keine Gelegenheit finden. Wenn es Fragen oder Anregungen gibt, rufen Sie mich an. Da ich selbst jetzt im Home-Office arbeite, ist es leichter mich zu erreichen.
Ich wünsche Ihnen Zuversicht und Kraft für die nächsten Tage und Wochen.
Herzlichst Ihre Bettina Schertler