Wir alle haben eine tiefe unbewusste Angst vor Veränderung.
Veränderungen sehnen wir oft inständig herbei. Doch sind sie für uns immer dann besonders herausfordernd, wenn wir sie nicht selbst kontrollieren und steuern können. Wir befürchten, dass alles noch schlimmer werden könnte.
Besonders in den letzten zweieinhalb Jahren waren wir vielen Veränderungen ausgesetzt. Auf manche konnten wir flexibel reagieren, andere waren sehr herausfordernd und haben uns viel abverlangt.
Veränderungen fallen uns von Natur aus eher schwer.
Unser Instinkt bzw. unser instinktives, emotionales Gehirn ist sehr konservativ gestrickt. Es greift auf Muster zurück, die uns in der Vergangenheit in einer bedrohlichen Situation Sicherheit geboten haben und speichert sie in unserem Zellgedächtnis ab. Diese wurden schon Generationen vor uns entwickelt. Sie sind Teil unserer Genetik und wir können jederzeit automatisch auf sie zurückgreifen. Dadurch steht uns bei Gefahr eine reichhaltige Auswahl an Strategien zur Verfügung und ermöglicht uns blitzschnell zu reagieren. Wir müssen nicht immer wieder alles neu durchdenken.
Doch nicht nur unsere Vorfahren haben herausfordernde Veränderungen erlebt.
Auch wir haben in der Schwangerschaft und frühen Kindheit uns Verhaltensmuster antrainiert, die unser Überleben sichern sollen. Sie sind sehr tief in uns eingeprägt, sie dienen unserer Sicherheit und lassen sie sich deshalb nicht leicht verändern.
Viele Schutzmuster, die wir im Laufe der Generationen erworben haben und die in unserem kollektiven Gedächtnisspeicher abgelegt wurden, sind im Hier und Jetzt nicht mehr wirklich sinnvoll.
Es ist gut nicht immer in die gleiche Falle zu tappen, sondern gewappnet zu sein, doch diese automatisierten Schutzmuster begrenzen unsere Fähigkeit kreativ auf Veränderungen zu reagieren. Wir wollen das Bestehende bewahren und sträuben uns erstmal gegen alles Neue.
Da Sicherheit eines unserer Grundbedürfnisse ist, sind Zeiten des Wandels für die Mehrzahl der Menschen eine große Herausforderung.
Es ist ihnen eine gewisse Unsicherheit immanent und kann Stress auslösen. Deshalb suchen sie nach einer sicheren Führung, die ihnen den Weg durch die Krise zeigt, ihnen wieder Halt und Stabilität gibt und versuchen alle möglichen Zweifel zu unterdrücken.
Kollektiv haben wir in den letzten zweieinhalb Jahren eine ähnliche Dynamik erlebt.
Wenn uns die Angst vor Krankheit oder Krieg beherrscht, sind wir erst mal geneigt, einer höheren Autorität, die uns Sicherheit verspricht, zu vertrauen. Nur allzu gerne folgen wir dann den Vorgaben sogenannter Experten, die uns in dieser Haltung noch bestärken. Wir empfinden Menschen, die diese Autorität infrage stellen, als bedrohlich. Sie gefährden quasi unser unbewusstes Bedürfnis nach Sicherheit.
Doch wenn immer mehr Menschen beginnen an diesem Narrativ zu zweifeln und sich intensiver mit den Themen auseinanderzusetzen, können auch anderen Sichtweisen zugelassen werden und müssen nicht mehr bekämpft werden.
Das kann sogar so weit gehen, dass sich bisherige Einstellungen komplett ändern. Wenn immer mehr Menschen sich daraufhin neu ausrichten, kann ein massiver kollektiver Veränderungs- und Bewusstseinsprozess einsetzen.
Auch im Tierreich ist das Thema „Veränderung“ sehr herausfordernd.
Wenn in der Raupe der Veränderungsprozess einsetzt, bei dem die Raupenzellen langsam zu Schmetterlingszellen mutieren, empfindet das Raupensystem diese veränderten Schmetterlingszellen erst mal als Bedrohung und versucht sie zu eliminieren. Das funktioniert ähnlich wie bei unserem Immunsystem, das vorhandene Krebszellen eliminiert. Erst wenn die Schmetterlingszellen überhandnehmen geben praktisch die Raupenzellen ihren Widerstand auf bzw. geben sich der Veränderung hin. Langsam aber sicher wird aus einer Raupe ein Schmetterling.
Auf gesellschaftlicher Ebene gibt es ein ähnliches Phänomen.
Wenn Frauen sich in männliche Systeme begeben, werden sie sehr stark von den männlichen Strukturen beeinflusst. Sie möchten sich integrieren und unterdrücken bis zu einem gewissen Grad ihre weiblichen Anteile. Das beginnt beim Kleidungsstil, das zeigt sich in ihrer Sprache, sie trainieren sich männliche Verhaltensmuster an. Dadurch werden sie von ihrem Umfeld als Frauen nicht so stark wahrgenommen und erleben weniger Widerstände. Das gleiche geschieht auch mit Männern. Ich habe Ausbildungen erlebt, wo die überwiegende Anzahl der TeilnehmerInnen weiblich war. Die wenigen Männer kehrten so stark ihre weiblichen Anteile heraus, dass auch sie oft nicht mehr explizit als Männer wahrgenommen wurden.
Dieser Assimilierungsprozess findet immer dann statt, wenn es gilt sich möglichst gut anzupassen, Auseinandersetzungen zu entgehen und aus der Gemeinschaft nicht ausgestoßen zu werden.
Und tatsächlich hat man auch durch wissenschaftliche Studien belegt, dass sich das Klima erst allmählich wandelt, wenn der Frauenanteil in Betrieben oder anderen, hauptsächlich durch Männer bestimmten Systemen, ca. 30 Prozent übersteigt: Durchaus ein starkes Argument für die Quote.
Doch nur, wenn der Geschlechteranteil wirklich ausgewogen ist, wird es auch jedem einzelnen, egal ob Mann oder Frau, möglich sein die eigenen weiblichen und männlichen Anteile gleichberechtig auszuleben.
Auch auf der individuellen Ebene findet diese Dynamik statt.
Jeder Mensch hat eine bestimmte Komfortzone, in der er sich wohlfühlt: Er kann vertraute Situationen gut bewältigen und wird von erprobte Strategien unterstützt.
Doch, wenn plötzlich etwas Neues auftaucht und ein Wandel notwendig wird, fühlen wir uns oft erst mal überfordert.
Wir geraten in Stress und verfallen in automatisierte Reaktions- und Schutzmuster, um das Neue abzuwehren. Wir erleben diese Muster persönlich oft als Hindernis, da sie unserem Verstand und unserem bewussten Handeln nicht entsprechen. Aufgrund unseres Stresses arbeiten jedoch unser Verstand und unser Instinkt nicht zusammen. Wir verfallen trotz besseren Wissens immer wieder in alte Verhaltensmuster, die wir schon längst ablegen wollten.
Immer dann, wenn wir uns im Stress fühlen, wenn wir uns unter Druck setzen, wenn bestimmte Trigger uns an alte Erfahrungen erinnern, aktivieren wir unser Reptiliengehirn.
Doch dieser Gehirnteil hat nur drei Stressmuster zur Verfügung: Kampf, Starre oder Flucht. Der Rest unserer Möglichkeiten wird ausgeblendet.
Unter Stress lehne ich mich automatisch gegen das Neue auf und kämpfe gegen ungewohnte Situationen an, gegen fremde Personen oder neue Entwicklungen (Kampf) oder ich verfalle in eine totale Schockstarre und bin völlig inaktiv (Starre) oder ich suche mein Heil in der Flucht, indem ich diese Themen, diese Herausforderungen vermeide oder sie verdränge (Flucht).
Alle drei Strategien mögen je nach Gefahrensituation sinnvoll sein, sind aber grundsätzlich nicht wirklich förderlich, wenn es um die Bewältigung von Krisen geht.
Denn veraltete, automatisierte Schutzmuster sind mit unserer Gegenwart einfach nicht mehr kompatibel.
Je weniger wir deshalb auf diese inadäquaten, automatisierten Verhaltensmuster zurückgreifen müssen, sondern entscheiden können, was jetzt für uns stimmig ist, umso besser können wir den Herausforderungen begegnen.
Es ist der Kern meiner Arbeit diese einschränkenden Muster wieder aufzulösen, so dass meine Klienten im Hier und Jetzt wieder angemessen reagieren können. Sobald wir einen entspannten Körper haben, verbessert sich auch unsere Gefühlslage sofort und wir können besser denken. Dann können sie im Hier und Jetzt klar beurteilen, was ihnen dient und was nicht. Sie können eine gute Wahl treffen, die der Situation angemessen ist. Kopf und Bauch sitzen wieder im selben Boot und unterstützen sie und auch das automatisch. Meine Klienten sind immer wieder verblüfft, wie leicht und stimmig sich das dann anfühlt: Nicht mühsam antrainiert, sondern völlig natürlich.
In diesem Zustand können wir uns auf den Wandel gelassen einstellen und trotz aller, durchaus auch auftretenden Herausforderungen in unserer Mitte bleiben.
Leben ist Wandel, alles ist im Fluss. Je besser wir uns danach ausrichten und darauf einlassen, um so erfüllender wird es.